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Serie „Sinne“: Der Mund
Was ist Ihr Lieblingsessen? Die traditionellen Kässpatzen aus der Kindheit oder ein knuspriges Baguette aus einer Pariser Boulangerie? Unser Geschmacksempfinden ist geprägt von persönlichen Erinnerungen, einer Portion Nostalgie und Tradition und letztlich auch durch unsere Gene. Unser Geschmackssinn ist daher so individuell wie wir Menschen. Bisher jedoch steckt die Forschung über dieses Wunderwerk der Natur noch in den Kinderschuhen.
Der Mund ist wahrlich ein Allround-Talent: Mit dem Mund sprechen, küssen, atmen wir und nehmen Nahrung auf. Mit der Zunge wird die Sprache geformt, als kräftiger Muskel ertastet sie die Nahrung und lenkt sie zu den Zähnen, die das Essen zerkleinern. Die im Speichel enthaltenen Enzyme spalten die in der Nahrung befindliche pflanzliche Stärke. Der Verdauungsprozess beginnt also bereits im Mund, darum zählt dieser anatomisch zu den Verdauungsorganen.
Wie Geschmack entsteht
Auf der Zunge befinden sich Geschmacksknospen, welche aus je rund 100 Zellen besteht. Diese Geschmacksrezeptorzellen reagieren mit der Nahrungsaufnahme auf die fünf verschiedenen Geschmacksrichtungen: süß, sauer, salzig, bitter und umami. „Umami“ ist Japanisch und bedeutet in etwa „köstlich“. Er steht für einen herzhaft-würzigen Geschmack, der auf proteinhaltige Lebensmittel hinweist, wie zum Beispiel Fleisch und Käse.
Sobald die Rezeptorzellen also Geschmack registriert haben, laufen biochemische Prozesse ab, die dann einen Geschmacksreiz als elektrischen Impuls an das Hirn senden. Die Neuronen analysieren anschließend diesen Impuls, indem freigesetzte Botenstoffe Erregungsmuster hervorrufen. Sie bestimmen, wie wir einen Geschmack bewerten. Bei dem Verzehr von Schokolade beispielsweise werden Endorphine freigesetzt, die ein Glücksgefühl in uns auslösen.
Ein sinnliches Gesamtkunstwerk
Für ein umfassendes Geschmackserlebnis ist aber nicht nur der Mund zuständig. Der Geruchssinn bestimmt nämlich 80 Prozent der Geschmackserfahrung. Über den Rachen gelangen beim Essen Aromamoleküle in die Geruchsrezeptoren der Nase. Dadurch riecht man die Speise besser und der Geschmack wird intensiviert. Der Geruch löst zudem bereits die Speichelproduktion aus – uns läuft wortwörtlich schon einmal das Wasser im Munde zusammen. Der Tastsinn, die Temperatur und der Schärfegrad der Speisen sind ebenso ausschlaggebend, wie auch Geräusche: Das Knacken von Chips etwa macht geradezu süchtig. Und nicht zuletzt isst auch das Auge mit: Erdbeermus schmeckt beispielsweise süßer von weißen als von dunklen Tellern. Wie ein Gesamtkunstwerk bezieht Essen also alle unsere Sinne mit ein.
Botenkunde
Die Geschmacksrichtungen vermitteln dem Körper individuelle Botschaften. Süß steht für Zucker und Kohlenhydrate und somit für eine schnelle Energiezufuhr. Zudem signalisiert „süß“ Gefahrlosigkeit, denn es gibt in der Natur nichts, das süß und giftig zugleich ist. Salzig bedeutet uns Mineralien. Sie sind in moderaten Mengen wichtig für den Stoffwechsel. Sauer wiederum regt die Speichelproduktion an und warnt gleichzeitig vor ungenießbaren Speisen, wie schlechter Milch. Bitter ist für den Körper ebenfalls ein Warnsignal, es kann für Giftiges stehen. Einzelne Bitterstoffe können aber auch gut für die Verdauung sein. Umami schließlich steht für proteinreiche Kost.
Geschmack ist individuell
Vielfalt ist das Stichwort, wenn es um die Vorlieben und Abneigungen geht. Jeder Mensch hat einen individuellen Geschmack. Das liegt daran, dass dieser wohl von rund 50 Genen gesteuert wird, deren jeweilige Aktivierung Veranlagung ist. Andere Theorien gehen zudem davon aus, dass es auch der eigene Kulturkreis und Erfahrungen sowie frühe Prägung eine Rolle spielen. Über das Fruchtwasser und die Muttermilch werden nämlich Aromastoffe weitergegeben. Im Monell Chemical Senses Center in Philadelphia ließ die US-Forscherin Julie Mennella Schwangere in den letzten Wochen vor der Geburt Karottensaft trinken. Diese Kinder mochten später Brei mit Karottengeschmack lieber als Kinder einer Vergleichsgruppe ohne Rübensaft.
Ein sechster Geschmackssinn?
Der Geschmack des Menschen ist erst seit einer relativ kurzen Zeit Gegenstand der Forschung. Seit einigen Jahren hält sich die These, dass „fett“ ein eigener Geschmackssinn ist. 2011 entdeckte Wolfgang Meyerhof vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung spezifische Rezeptoren, die nur auf Fettsäuren reagieren. Auch in einer US-amerikanischen Studie konnten Teilnehmende in einer Versuchsanordnung „fett“ als eigene Geschmacksrichtung ausmachen. Vor einigen Jahren wies Meyerhof schließlich nach, dass es in den Speicheldrüsen unserer Zunge Fett spaltende Enzyme gibt. Bisher handelt es sich bei der Frage nach dem sechsten Geschmackssinn „fett“ jedoch noch um eine Theorie.
Geschmack verändert sich
Unsere gustatorische Wahrnehmung verändert sich im Laufe unseres Lebens. Ein Säugling hat rund 10.000 Geschmacksknospen, im jugendlichen Alter sind noch etwa 9.000. Um einem Kind übrigens ein Gericht oder Lebensmittel schmackhaft zu machen, sollten Eltern es mindestens achtmal anbieten und probieren lassen. Geschmack ist nämlich auch Gewohnheit.
Geschmacksknospen sind extrem kurzlebig, sie erneuern sich in der Regel alle zehn Tage. Bei älteren Menschen verlangsamen sich diese Erneuerungsprozesse und so besitzen sie nur noch zirka 2.000 bis 5.000 Geschmacksknospen.
Mit allen Sinnen wahrnehmen
Schmecken ist ein aktiver Prozess: Der Mensch beißt, kaut und schluckt, wodurch Aromen freigesetzt werden, die wir als Geschmack wahrnehmen. Nehmen Sie sich daher Zeit zum Essen, damit die Sinne sich entfalten können. Eine kleine Achtsamkeitsübung: Versuchen Sie, eine Rosine mit allen Sinnen wahrzunehmen: Wie sieht sie genau aus? Wie riecht sie? Wie fühlt es sich an? Welche Erinnerungen und Assoziationen ruft das in Ihnen hervor? Und letztlich, wie schmeckt sie, wie fühlt sie sich im Mund an? So können Sie Ihre Sinne wieder schärfen und das Essen in Ruhe genießen.
Nach allen Regeln der Geschmacksschule
Schlechtes, mit Zusatzstoffen versetztes Essen lässt den Geschmack verkümmern. Einfache Regeln wirken dem entgegen:
- Ziehen Sie frische Lebensmittel dem Fertigprodukt und Fast Food vor
- Nehmen Sie sich Zeit: langsam Essen und kleinere Bissen nehmen
- Kauen Sie das Essen gut, nur so kann sich Ihr Körper optimal auf die Verdauung vorbereiten
- Würzen und salzen Sie moderat, zu viel Gewürz kann die Sinneswahrnehmung überreizen
- Regelmäßige und fachgerechte Mundhygiene und Zahnpflege halten gesund – dabei sollte man aber mindestens eine halbe Stunde zwischen Essen und Zähneputzen vergehen lassen, denn sonst wird der Zahnschmelz angegriffen und der Verdauungsprozess kommt aus dem Gleichgewicht
Autorin
Anita Schedler
Redakteurin Klösterl-Journal