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Unser Anti-Stress-Nerv: Wie der Vagusnerv für Entspannung sorgt

Endlich angekommen – im langersehnten Urlaub, beim Yoga-Retreat oder in dem Wochenende in den Bergen. Und dann kommt man trotzdem nicht zur Ruhe, schläft unruhig, fühlt sich gehetzt und getrieben, obwohl doch jetzt Entspannung auf dem Programm steht. Warum lässt sich der Körper nicht einfach herunterbremsen? Wieso braucht das Nervensystem mehr als nur gelegentliche Ruhepausen? Und gibt es vielleicht einen Entspannungsknopf, der uns das alles viel leichter machen würde?

Um das zu beantworten, machen wir einen kleinen Ausflug in die Funktion unseres Nervensystems. Es wird dabei unterschieden in das bewusst gesteuerte, somatische Nervensystem, welches z.B. den motorischen Bewegungen und den Sinneswahrnehmungen dient, und in das unbewusst gesteuerte, vegetative oder autonome Nervensystem, welches z.B. die Zusammenarbeit der inneren Organe regelt sowie die Emotionen reguliert.

Das autonome Nervensystem ist unser Autopilot, der alle lebenswichtigen Funktionen wie Herzschlag, Atmung, Verdauung etc. vollautomatisch steuert. Es ist überlebenswichtig für uns Menschen, denn, wenn wir das alles bewusst koordinieren müssten, wären wir allein damit vollkommen ausgelastet.

Diese automatische Intelligenz unseres Körpers reagiert Tag und Nacht auf unsere Umgebung. Sie lässt das Herz schneller schlagen bei Aufregung oder Freude, schickt Energie in die Muskeln, wenn wir sportlich aktiv sind (Sympathikus), gibt Magen und Darm das Signal zu verdauen, wenn wir gegessen haben, und verlangsamt Atmung und Herzschlag, wenn wir abends einschlafen möchten (Parasympathikus).

Damit wäre alles in bester Ordnung, wenn die beiden Gegenspieler des Nervensystems – Sympathikus und Parasympathikus – die Aufgabe erfüllen würden, für die sie ursprünglich geschaffen wurden: sich perfekt auszubalancieren.

Nun ist aber in unserer Lebenswelt der Sympathikus ständig in Aktion. Wurde er früher in Sekundenbruchteilen aktiv, um den Körper beispielsweise für die Flucht vor einem wilden Tier zu aktivieren, reagiert er heute auf Termindruck im Beruf, bei Konflikten in der Beziehung, auf den Nervenkitzel beim Sport oder die Spannung in der Fernsehserie.

Durch die ständige Reizüberflutung, der viele Menschen insbesondere im städtischen Raum ausgesetzt sind, und die vielen „shiny objects“, welche durch die Social Media- und Kommunikations-Apps auf den Smartphones kaum auszublenden sind, ist der Sympathikus daueraktiv. Ständig wird dem Nervensystem suggeriert, dass es reagieren, schnell, aktiv und wach sein muss.

Sein Kollege Parasympathikus, der in Ruhephasen für Regeneration und Regulation zuständig ist, bekommt nicht viel Zeit, um seine Aufgabe zu erfüllen. Er fühlt sich wohl in einer Umgebung, in der das Nervensystem keine Bedrohung verspürt, sich sicher fühlt und im besten Fall in Kontakt mit anderen Menschen ist, die sich in positiver Verbundenheit begegnen. Dann kann der Parasympathikus seinen Auftrag ausführen und für Erholung und Entspannung sorgen.

Das Zusammenspiel im Parasympathikus ist sehr komplex, und sein Steuermann und größter Nerv ist der Vagusnerv. Seit Professor Stephen Porges vor rund 30 Jahren seine Polyvagal-Theorie vorgestellt hat, ist bekannt, dass der Vagusnerv in zwei sehr unterschiedlichen Ästen verläuft.

Der vordere (ventrale) Vagus-Ast fördert Selbstheilung, Ruhe und Erholung und stellt die sozialen Verbindungen sicher. Wenn der hintere (dorsale) Vagus-Ast hingegen aktiv ist, geht der Körper in eine Immobilisierung (‚freeze‘-Reaktion). Der Stoffwechsel wird heruntergefahren und der Organismus geht in eine Art Schockstarre als Reaktion auf Gefahr.

In einem gesunden Organismus ist der vordere Vagus stark und aktiv als Gegenspieler des Sympathikus. Er reguliert das Nervensystem, wenn die (scheinbare) Gefahr oder der Stress wieder vorbei sind und signalisiert dem Körper Ruhe und Entspannung. Wir sind dann bereit für soziales Verhalten, Kommunikation und Beziehung mit anderen. Einer unbekannten Situation können wir positiv und mit Offenheit begegnen und fühlen uns dabei sicher.

Wenn sich das Nervensystem jedoch ständig im Alarm-Modus befindet, versucht zunächst der Sympathikus mit seiner „Kampf und Flucht“-Reaktion eine Lösung dafür zu finden. Gelingt ihm das nicht, springt der hintere Vagus ein und versetzt den Körper in den „Freeze“-Modus. Die Folgen können ein geschwächtes Immunsystem, eine erhöhte Infektanfälligkeit, ein gesteigertes Risiko für Entzündungen und eine depressive Stimmung sein.

Die Antwort auf die Frage, ob es einen Entspannungsknopf gibt, der uns hilft, regelmäßig zur Ruhe zu kommen, findet sich daher beim vorderen Vagus-Ast. Dieser braucht regelmäßige Inseln im Alltag, die der Erholung gewidmet sind, damit er genügend Zeit hat, um seine Aufgabe zu erfüllen. Wir können ihn aber auch durch regelmäßige Aktivierung stärken, sodass es dem Nervensystem auf Dauer leichter fällt, in den Entspannungsmodus zu kommen. Einige einfache und wirksame Tipps zur Unterstützung der Selbstregulation sind hier im Kasten genannt.

Wer sich regelmäßig um den Entspannungsbereich des Nervensystems kümmern, braucht nicht bis zum nächsten Urlaub oder Wochenendtrip warten, um etwas Erholung zu finden.


9 Tipps zur Aktivierung des vorderen Vagusnerves

  1. Augenübung (siehe Tipp unten)
  2. Pausen machen: Mindestens alle 90 Minuten bewegen oder strecken, ein paar tiefe Atemzüge nehmen, den Kiefer entspannen und ein Glas Wasser trinken.
  3. Atem vertiefen: Tiefe Bauchatemzüge, bei denen sich das Zwerchfell nach oben und unten bewegt, entspannen die Muskulatur und geben das Signal an den vorderen Vagus-Ast aktiv zu werden.
  4. Tönen: Summen wie eine Biene mit spürbarer Vibration im Kehlkopf, ‚Vooo‘ tönen oder singen.
  5. Moderate Bewegung: Viele Arten leichter und wohltuender Bewegung können den Vagus stärken, z.B. Spazieren gehen oder Walken, Tanzen, Schwimmen, Yoga, Pilates oder Trampolin hüpfen. Noch schöner: gemeinsam in einer Gruppe sympathischer Menschen.
  6. Schwingübung: Arme angewinkelt, die Hände halten jeweils den anderen Ellbogen, Schultern drehen rasch und ohne Unterbrechung nach rechts und links, die Hüfte bleibt in der Mitte. Jeweils dreimal wiederholen auf drei Ebenen mit den Unterarmen: vor dem Bauchraum, auf Höhe des Brustkorbes und vor dem Kopf.
  7. Hals-Nacken-Massage: Mit sanftem Druck den Bereich am Nacken und seitlichen Hals massieren oder leicht klopfen.
  8. Darmflora stärken: Darm und Vagusnerv sind über das Gehirn verbunden. Eine gesunde Darmflora und ein entspannter Darm erleichtern die Regulationsfähigkeit im Nervensystem.
  9. Neurogenes Zittern: Stress und Anspannung abschütteln ist eine bewährte Strategie für Säugetiere, um sich zu regulieren, und tut auch uns Menschen gut.

Unser Anti-Stress-Nerv: Wie der Vagusnerv für Entspannung sorgt

Tipp: Augenübung

Die Grundübung zur Regulation des Nervensystems stammt von Stanley Rosenberg. Sie ist wirksam, leicht und dauert weniger als 2 Minuten. Dabei verbessert sie unser soziales Nervensystem und kann sich positiv auf den vorderen Vagus-Ast auswirken.

Haltung: Am Anfang im Liegen, später auch im Sitzen oder Stehen praktizieren.

  • Finger verschränken und die Hände locker an den Hinterkopf legen. Bei eingeschränkter Mobilität in der Schulter reicht auch eine Hand.
  • Kopf bleibt in der Mitte und bewegt sich nicht.
  • Augen bewegen sich so weit wie möglich nach rechts und bleiben dort für 30 – 60 Sekunden bis der Körper einen Impuls für Entspannung gibt, z.B. ein Schlucken, Gähnen, Seufzen oder ein tiefer Atemzug.
  • Blick wieder zur Mitte, kurz geradeaus schauen.
  • Augen bewegen sich möglichst weit nach links, der Kopf bleibt still. Für 30 – 60 Sekunden Blick nach links halten, bis wieder ein Entspannungsimpuls kommt.
  • Die Augen gehen zurück zur Mitte, Hände lösen und locker neben den Körper bringen.

Zu Beginn kann es sein, dass die Entspannungsreaktion nicht bereits nach einer Minute, sondern erst nach der Übung eintritt. Mit häufigerer Wiederholung kann sich das Nervensystem schneller entspannen.

Unser Anti-Stress-Nerv: Wie der Vagusnerv für Entspannung sorgt

Autorin

Cäcilia Wallbrecher

Redakteurin Klösterl-Journal und Embodiment-Coach