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Das Nervensystem – Tanz der Neuronen

Was wäre das Leben ohne Gefühle, ohne das Spüren von Glück und von Freude, aber auch von Trauer und von Wut? Die Gefühle treiben uns in unserem Handeln an und lassen unser Leben nicht eintönig und farblos erscheinen. Das Gedankenspiel um diese individuell ausgelösten Gefühle geben jedem Menschen die Möglichkeit, sein Handeln selbst zu kontrollieren. Welches System im Körper ist nun besonders daran beteiligt, dass man sich mit der Umwelt so gefühlvoll auseinandersetzen kann?

Das Tischgebet ist gerade beendet und alle sind bereit, die erste Gabel Spaghetti genüsslich in den Mund zu schieben. Da verschüttet eines meiner Kinder ein Glas Saftschorle. Laut schimpfend falte ich mein Kind zusammen, während ich die klebrige Flüssigkeit vom Boden aufwische.

In schlechter Stimmung verläuft das Abendessen nun weiter, und hinterher stelle ich mir die Frage: Warum nur habe ich so überreagiert?

Das Nervensystem

Ein Geflecht aus Milliarden von Nervenzellen (auch Neuronen genannt) zieht sich vom kleinen Zeh bis an den höchsten Punkt unseres Schädels durch unseren Körper. Unsere Sinnesorgane Haut, Augen, Nase, Mund und Ohren nehmen Informationen in Form von Reizen aus der Umwelt auf. Über Nervenbahnen werden diese Reize dann zum Gehirn weitergeleitet und dort verarbeitet. Mit Eintritt des Impulses in das Rückenmark, dessen Nervenbahnen von der Wirbelsäule geschützt sind und zum Gehirn verlaufen, enden die Bahnen des peripheren und die des zentralen Nervensystems beginnen. Wieder sind es Neuronen, die den Antwortreiz vom Gehirn zum Zielorgan transportieren, wo dann zum Beispiel eine Kontraktion oder eine Entspannung der Muskulatur, aber auch die Ausschüttung von Hormonen ausgelöst werden können.

Der Weg zum Gehirn

Der Blick des Auges auf das eingangs erwähnte verschüttete Getränk beispielsweise wandelt in den Sehzellen, das sind spezialisierte Nervenzellen, das einfallende Licht in elektrische Impulse (siehe Abbildung links) um.

Bis die Information „ich sehe die verschüttete Saftschorle“ im Gehirn ankommt, übertragen sehr viele hintereinandergeschaltete Nervenzellen diesen Informationsreiz.

Das Gehirn und die Emotionsverarbeitung

Im Fall der verschütteten Apfelschorle gelangt diese Sinnes-Information zum Thalamus, der ankommende Reize nach ihrer Wichtigkeit filtert. Über weitere Neuronen kommt die Information bei der Amygdala, auch Mandelkern genannt, an. Diese, sowie weitere Hirnareale, gehört zum Limbischen System, das als Funktionseinheit Emotionen, Motivation sowie Gedächtnis und Lernen, aber auch Triebverhalten und Verdauung kontrolliert. Die Amygdala bewertet ungenau, aber blitzschnell (unterer Millisekundenbereich), wie dieser Reiz emotional einzuordnen ist, ob eventuell eine Gefahr von ihm ausgeht. Von der Amygdala aus wird ein Antwortreiz losgeschickt, der über den Hypothalamus und den Hirnstamm wieder neuronal zu einem oder mehreren Zielorganen geleitet wird und eine Reaktion auslöst (Abbildung unten zur Reizweiterleitung im Gehirn; grüne Pfeile).

Ist das vergossene Getränk mit der Emotion „Wut“ verknüpft, ist eine Erhöhung der Atem- und Herzfrequenz, weit aufgerissene Augen sowie lautes Brüllen nicht selten die Reaktion.

Emotionen wie Angst und Freude sind neben der Wut Reaktionen des Körpers, die auf einen Reiz folgen und nach außen sichtbar sind. Sie geschehen aufgrund des in der Amygdala abgespeicherten emotionalen Gedächtnisses ohne Einbeziehung des Bewusstseins.

Das vegetative Nervensystem kontrolliert alle emotional behafteten Reize aus der Umwelt.

Einteilung des Nervensystems

Das Nervensystem wird in ein willentlich beeinflussbares, bewusstes (= somatisches) Nervensystem und in ein unwillkürliches, unbewusst gesteuertes (= vegetatives) Nervensystem eingeteilt.

Lebenserhaltene Funktionen wie Herzschlag, Atmung und Verdauung unterliegen dem vegetativen Nervensystem, das sich in drei Funktionseinheiten gliedert:

1. Sympathisches Nervensystem: Der Organismus wird in körperliche sowie geistige Leistungsbereitschaft versetzt (z.B. Stress, sportliche Aktivität, erhöhte Herzfrequenz, Schweißbildung).

2. Parasympathisches Nervensystem: Körperliche Aktivitäten werden gedrosselt. Die Verdauung wird aktiviert (z.B. Erholungsphasen, verlangsamter Herzschlag, ruhige Atmung).

3. Enterisches Nervensystem: Dies ist ein Nervengeflecht, das den Gastrointestinaltrakt durchzieht, auch Bauchhirn genannt. Es regelt die Verdauung selbstständig. Über die Darm-Hirn-Achse kommunizieren die beiden „Gehirne“ miteinander. Der Bauch informiert das Gehirn über Völlegefühl und Blähungen. Der Vagusnerv läuft vom Magen-Darm-Trakt zum Gehirn, u.a. auch zum Limbischen System. So erklärt sich, warum Gefühle auf den Magen schlagen können und Hungergefühl schlechte Laune auslösen kann.

Dagegen kann der Mensch über das somatische Nervensystem bewusste Handlungen, wie zum Beispiel die Bewegungen der Gliedmaßen, steuern.

Das Gehirn und die Wahrnehmung eines Gefühls

Dass wir Gefühle wie Wut beim Anblick der Saftlache bewusst verspüren, wird über das somatische Nervensystem geregelt. Der im Thalamus (auch Tor des Bewusstseins genannt) gefilterte Reiz wird über weitere Nervenbahnen ebenso an die Hirnrinde, in unserem Beispiel die Sehrinde, weitergegeben (Abbildung zur Reizweiterleitung im Gehirn; blaue Pfeile). Dieser Weg dauert zwar länger (oberer Millisekundenbereich), verarbeitet aber den Reiz im Detail, da auch der Hippocampus beteiligt wird. Im Hippocampus wird bewusst Erlebtes mit Gefühlen verknüpft und als Erinnerung abgespeichert.

Besonders der Präfrontale Cortex ist ein Areal in der Hirnrinde, der unbewusste emotionale Reize des Limbischen Systems in bewusst wahrnehmbare Gefühle umwandelt. Über das bewusste Wahrnehmen dieses Gefühls verstehen wir, was mit uns geschieht. „Ich bin wütend! Ich bin wütend, weil ich zum einen den Fleck aufwischen muss und zum anderen, weil wir später mit dem Essen anfangen werden, das dann schon kalt ist und nicht mehr so gut schmeckt.

Aber ist dieser Fleck wirklich so schlimm? Lohnt es sich deshalb, die Stimmung wie beim letzten Abendessen zu verderben?“ Mit dem Vergleich der gegenwärtigen Situation mit früheren Erlebnissen wird nach abschließender Analyse im Limbischen System das Handeln modifiziert. Die Wut darüber, dass sich die Mahlzeit verzögert und der Fleck aufgewischt werden muss, kann neu bewertet werden. Wird sie als „die Aufregung lohnt sich nicht!“ bewertet, geht das Herzrasen in ein ruhiges Atmen über und die Stimme wird leiser.

Gefühle werden mental bewusst wahrgenommen, wenn das Gehirn die emotionalen Reaktionen des Körpers mithilfe seiner gespeicherten Erfahrungen abgleicht.

Tief durchatmen

Unsere Mimik im Gesicht verrät viel über unsere Emotionen, denen wir über Sprache und Körperhaltung noch mehr Ausdruck verleihen können. Sich seine Gefühle bewusst zu machen, ist der erste Schritt, achtsam mit ihnen umzugehen. Langsamer werden und sich zu beruhigen, um wieder im Bereich des Präfrontalen Cortex zu arbeiten, hilft uns, dass Gefühle uns nicht überfluten und wir besonnener reagieren können. Also nicht brüllen, sondern erst einmal bis zehn zählen, aber rauf und nicht wie beim Countdown runter. „Na hat das Saftmonster wieder zugeschlagen?! Nimm schnell den Lappen und wisch alles auf! Wir fangen schon mal an.“ Und schon kann unser gemeinsames Essen in guter Stimmung weitergehen.

Autorin

Bettina Wadewitz

Apothekerin