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Silent Inflammation: Still und unbemerkt

Mit Fieber liege ich erkältet im Bett. Meine Nase läuft, mein Hals ist gerötet und die Mandeln geschwollen. Ich kann vor lauter Schmerzen kaum sprechen. Gut, dass mein Immunsystem auf diese akute Entzündung reagiert und ich in ein paar Tagen wieder fit bin. Warum machen denn alle so einen Terz um stille Entzündungen, ich habe doch mein Immunsystem, das wird mir schon helfen – oder!?

Akute Entzündung

Wie in diesem Beispiel ist ein Entzündungsprozess zuerst einmal etwas biologisch Sinnvolles. Immunzellen, die beispielsweise einen Krankheitskeim entdecken, reagieren mit der Ausschüttung von Entzündungsmediatoren, wie z.B. Histamin, Tumornekrosefaktor alpha (TNFα), Leukotriene und Interleukine. Diese lösen eine akute Entzündung mit Schwellung, Rötung, Schmerz, Wärme und eingeschränkter Funktionsfähigkeit aus.

Diese typischen Entzündungssymptome dienen als Schutzschild vor weiterem Eindringen und Vordringen des Krankheitserregers in die Körperzellen, in denen er sich vermehren kann. Darüber hinaus locken die Entzündungsmediatoren weitere Immunzellen an, um den Entzündungsverursacher (z.B. einen Krankheitserreger oder einen Giftstoff) aus dem Körper zu eliminieren.

Dies gelingt über die Bildung aggressiver Radikale der Immunzellen, die den Erreger zerstören und ihn dann in sich aufnehmen, geradezu auffressen. Danach sorgen regulierende Immunzellen dafür, dass die Zahl der aktivierten Immunzellen und der Entzündungsmediatoren wieder sinkt. Über das körpereigene antioxidative System (KAS) werden überschüssige Radikale eingefangen, um Gewebeschädigung zu vermeiden. Dieser gesamte Entzündungsprozess ist lokal begrenzt und von kurzer Dauer.

Immuntoleranz

Die regulierenden Immunzellen entscheiden darüber hinaus, wie heftig eine Immunreaktion auf einen Fremdstoff ausfällt, damit körpereigenes Gewebe so wenig wie möglich geschädigt wird. Ein gesundes Immunsystem in Balance ist wie eine Wippe, bei der angreifende und regulierende Immunzellen im Gleichgewicht sind. Immunreaktion und Immuntoleranz halten sich die Waage (siehe Abb. 1).

Silent Inflammation: Still und unbemerkt

Chronische stille Entzündung – Silent Inflammation

Wenn Entzündungen sich häufen oder parallel an verschiedenen Orten im Körper entstehen, ist das Immunsystem in permanenter Alarmbereitschaft (siehe Blitz in Abb. 3). Überall feuern Entzündungsmediatoren Notrufsignale ab und wandern im Blut durch den ganzen Körper. Durch die Überforderung des irgendwann erschöpften Immunsystems kann dieses orientierungslos werden. Es ist nicht mehr fähig, zwischen Freund (ungefährliche Keime und Stoffen oder körpereigenes Gewebe) und Feind (Krankheitserreger, Giftstoffe) zu differenzieren und kann sich nicht entscheiden, bei welchem Entzündungsgeschehen es zuerst eingreifen soll.

Die Immuntoleranz sinkt, da auch die regulierenden Immunzellen ausgepowert sind. Eine Fehlreaktion des Immunsystems lässt sich nicht verhindern.  Autoimmunerkrankungen können auftreten, wie zum Beispiel die Schilddrüsenerkrankung Morbus Hashimoto oder die entzündliche Darmerkrankung Zöliakie. Das Immunsystem ist aus der Balance geraten. Die Wippe ist Richtung angreifender Immunzellen gekippt. Die Immuntoleranz ist geschwächt (siehe Abb. 2).

Silent Inflammation: Still und unbemerkt

Ursachen und Folgen

Vielen der aufgelisteten Auslöser einer Entzündung (siehe Abb. 3) ist der Organismus permanent ausgesetzt, sei es durch den modernen Lebensstil (Stress, Ernährung) oder durch ständige Exposition gegenüber Umweltgiften. Die ersten auftretenden Symptome sind alle unspezifisch und weisen nicht signifikant auf eine stille Entzündung hin. Man fühlt sich müde, schläft schlecht, ist zu erschöpft und hat keine Lust auf Sport. Auch fühlt man sich älter als man ist. Dagegen sind die Folgen der stillen Entzündung klar zu benennen: Silent Inflammation wird als Pathomechanismus für viele Folgekrankheiten (siehe Abb. 3) betrachtet. Dazu gehören Diabetes mellitus Typ 2, Herz-Kreislauferkrankungen, Demenz, Autoimmunerkrankungen und auch Krebserkrankungen.

Teufelskreis am Beispiel von Schlaf

Schlafmangel kann im ganzen Körper, vor allem im Gehirn, Entzündungsprozesse auslösen. Der durch Schlafmangel ausgeschüttete Entzündungsfaktor TNFa provoziert ab einer bestimmten Konzentration wieder Schlafstörungen und damit verbunden noch mehr Schlafmangel. Der Stoffwechsel der Aminosäure Tryptophan kann dadurch gestört werden. Statt das stimmungsaufhellende Hormon Serotonin sowie das schlaffördernde Hormon Melatonin zu bilden, entstehen Abbauprodukte, die depressions- und Fatigue fördernd sind.

Eine Entzündung initiiert die Verstärkung der Immunantwort. Dafür ist Energie notwendig. Bei einem akuten Infekt spart der Körper Energie, weil er mit Symptomen der Fatigue und Gliederschmerzen den kranken Menschen zur Bettruhe zwingt. Ein in Ruhe befindlicher Stoffwechsel verbraucht weniger Energie als einer in Aktivität. Die gesparten Kraft-Ressourcen kann auf das Immunsystem verlagert werden. Dagegen wird Fatigue, durch chronischen Schlafmangel hervorgerufen, zu einem Krankheitsbild, das sich durch ein Zuviel an Entzündungsmediatoren auszeichnet. Hier fehlt dauerhaft Energie. Noch fehlende Energie gewinnt der Körper in den Mitochondrien. Die dafür benötigten Bausteine liefert der Körper durch Muskelabbau (Proteine, Aminosäuren) und durch Erhöhung des Blutzuckerspiegels über das Stresshormon Cortisol, das den Appetit anregt. Durch Fressattacken, bei denen man überwiegend Lebensmittel mit geringer Nährstoffdichte, aber hoher Energiedichte (Fett und Zucker) isst, bringt man nicht nur ein paar Kilos mehr auf die Waage, es erhöht sich auch der Anteil an Bauchfett. Fettzellen wiederum setzen Hormone und Mediatoren frei, die ebenfalls proentzündlich wirken. Bei erhöhtem Bauchfett sowie Schlafmangel können die Körperzellen nicht mehr so sensibel auf Insulin (Hormon, das den Blutzuckerhaushalt reguliert) reagieren und den Zucker in die Zellen aufnehmen, sodass der Blutzuckerspiegel dauerhaft erhöht bleibt. Eine Insulinresistenz stellt sich ein, die diesen Teufelskreis mit neu entstehenden Entzündungen schließt.

Sind nicht Schlafmangel oder Übergewicht als Ursache für den Beginn einer stillen Entzündung festzumachen, dann kann es ein anderer Auslöser aus der Abbildung 3 sein, der diesen schleichenden Prozess in Gang setzt.

Silent Inflammation: Still und unbemerkt

Radikale – angreifendes Immunsystem

Nicht nur Immunzellen bilden Radikale, auch Mitochondrien im Zuge der Energieproduktion. Das antioxidative System (KAS) beseitigt diese effektiv, kommt jedoch durch eine entzündungsbedingte Flut an Radikalen an seine Grenze. Nicht eingefangene Radikale sind zell- und gewebeschädigend. Auch die Mitochondrien leiden unter den freien Radikalen und bilden weniger Energie, dafür umso mehr Radikale. Stellt sich eine sogenannte Mitochondriopathie ein, zeigt sie sich nicht nur in Erschöpfung, sie hält auch den Prozess der stillen Entzündung aufrecht (siehe Abb. 3). Je nach Art der Radikale spricht man von nitrosativem (durch Stickstoffradikale bedingten) oder oxidativem (durch Sauerstoffradikale bedingten) Stress. Auch exogene Faktoren, wie UV-Strahlung, Nikotin, aber auch Medikamente, erhöhen den nitrosativen und oxidativen Stress im Körper.

Immuntoleranz – regulierendes Immunsystem

Die Kompetenz des Immunsystems kann man mit zwei Begriffen zusammenfassen: Angriff und Toleranz. Unter Angriff versteht man die Fähigkeit, krankmachende (=pathogene) Erreger und auch Tumorzellen zu erkennen und sie effektiv und möglichst schnell zu eliminieren. Dabei nimmt man die klassischen Symptome einer Entzündung in Kauf. Dagegen versteht man unter der Toleranz des Immunsystems, körpereigene Zellen, belanglose Allergene (allergieauslösende körperfremde Stoffe) und kommensale Keime nicht anzugreifen. Kommensale Keime sind Mikroorganismen, häufig Bakterien, die mit ihrem Wirt in Symbiose zusammenleben. Darmbakterien sind zum Beispiel kommensale Keime im Organismus des Menschen.  Ein Immunsystem in Balance bedeutet, dass beide Seiten, die Toleranz und der Angriff, in ihrem Kompetenzbereich bleiben und die Wippe waagrecht ausgerichtet ist (siehe Abb. 4).

Silent Inflammation: Still und unbemerkt

Kippt diese Wippe in Richtung Angriff, gehen die Immunzellen auch gegen körpereigene Zellen vor – und der Grundstein für den Beginn einer Autoimmunerkrankung wird gelegt. Diese gestörte aggressive Immunreaktion kann das Entstehen einer Allergie oder einer entzündlichen Abwehrreaktion gegen kommensale Mikroorganismen fördern. Überwiegt die Toleranz, können pathogene Erreger sich im Organismus ausbreiten, vermehren und eine Infektion mit massiven den Organismus schädigenden Folgen auslösen.

Dem Körper stehen verschiedenen Mechanismen zur Verfügung, regulierend auf diese Wippe einzuwirken, um das Gleichgewicht zu halten. Eines dieser Instrumente ist die TH1-TH2-Balance, ein Mechanismus des Immunsystems selbst. TH steht für T-Helferzellen, die für jeden im Körper störenden Stoff (Antigen) gebildet werden und antigenspezifisch sind. Für jedes Antigen werden verschiedene T-Helferzellen gebildet: TH1- und TH2- sowie weitere T-Helferzellen. TH1-Zellen sind wichtig für die akute Abwehr von Viren und Bakterien innerhalb der Körperzelle. TH2-Zellen sind für die Bildung von Antikörpern gegen das Antigen zuständig, um es einzufangen, bevor es in eine Zelle eindringt.

In beiden Fällen wird im nächsten Schritt entweder die infizierte Zelle oder das an Antikörper gebundene Antigen über Fresszellen aus dem Körper eliminiert, was mit einer Entzündungsreaktion einhergeht. Sind die T-Helferzellen in ihrem Verhältnis zueinander nicht ausgeglichen und eine Spezies ist aktiver, spricht man von einer Dominanz der TH1- oder TH2-Zellen. Und das führt in beiden Fällen zu einer herabgesetzten Immuntoleranz (siehe Abb. 5 und Abb. 3).

Silent Inflammation: Still und unbemerkt

Zu Beginn des schleichenden Prozesses der stillen Entzündung sind die TH1-Zellen dominant. Deren immunologische Reaktion schwächt sich im anhaltenden Entzündungsprozess ab, infolgedessen die Anfälligkeit für chronische Infektionen steigt. Dadurch erlangen die TH2-Zellen eine zunehmende Dominanz. Allergien treten auf, wenn auch Antikörper gegen harmlose Antigene wie z.B. Pollen gebildet werden. Sie werden dann nicht mehr toleriert, sondern als körperfremd und gefährlich eingestuft. Das Immunsystem setzt daraufhin Entzündungsmediatoren frei, die das Entzündungsgeschehen weiter anfeuern. An diesem Punkt schließt sich auch hier der Teufelskreis (siehe Abb. 3). Weitere chronische Entzündungserkrankungen können sich entwickeln.

Diagnose

Verschiedene Parameter, die in einer bestimmten Abfolge im Blut durch Therapeut*innen getestet werden, weisen durch Ausschlussdiagnosen und gutes Interpretieren dieser Blutwerte auf stille Entzündung hin.

Antientzündliche Strategien

Vielleicht findet sich doch ein bisher unerkannter Auslöser, der die Entzündung triggert (Schimmelpilze, Darmentzündung, etc.). Unverzichtbar ist eine gesunde und frisch zubereitete Nahrung, statt Fastfood mit pro-entzündlichen Lebensmitteln. Nicht verhandelbar ist das ausreichend lange und regelmäßige Schlafen. Regelmäßiger Sport unterstützt den Muskelaufbau – mit jeder Muskelkontraktion werden antientzündliche und das Immunsystem stärkende Myokine ausgeschüttet. Eisbaden, ein Saunagang oder ab und an ein richtig herausforderndes Training unterstützen die Zellerneuerung, da nur die gesunden Zellen diese Belastung überstehen. Alle anderen werden aussortiert und erneuert. Es ist ein Balancetraining zwischen Radikalbildung und deren Neutralisation über das körpereigene antienzündliche System. Manchmal hilft es auch, dem Immunsystem mit Immunbotenstoffen, die die Kommunikation innerhalb des Immunsystems verbessern (wie z.B Interleukine) unter die Arme zu greifen.

Nrf2 – ein Hauptregler

In jeder Zelle befindet sich Nrf2, ein Faktor im antioxidativen System. Wie ein Anschaltknopf ist er in der Lage, sehr viele verschiedene antientzündliche, also antioxidative Prozesse zu aktivieren, die die Zellen u.a. vor oxidativem und nitrosativem Stress, vor Dysfunktion der Mitochondrien, vor Silent Inflammation und vor Autoimmunerkrankungen schützen. Auf der anderen Seite unterstützt aktivierter Nrf2 u.a. die Balance der regulierenden und angreifenden Immunzellen, die Neubildung von Mitochondrien und die Bindung giftiger Schwermetalle. In der Phytotherapie gibt es eine Reihe an Pflanzenstoffen, die Nrf2 aktivieren können. Siehe dazu auch „Was ist eigentlich eine antientzündliche Begleittherapie?“.

Bleiben Sie neugierig

Neugierig zu bleiben und Neues auszuprobieren kann die schräge Wippe in Bewegung setzen. Was dem einen zurück in die Balance hilft, muss nicht das Allheilmittel für alle anderen sein. Vielleicht muss man zuerst Übergewicht abbauen, damit sich die Schlafsituation verbessert oder andersherum. Probieren Sie verschiedene Entspannungsmethoden aus, die Sie gut in Ihren Alltag integrieren können. Welche passt zu Ihnen und tut Ihnen gut? Hilft der eine antientzündliche Wirkstoff nicht, dann vielleicht ein anderer. Oder ist es die Kombination aus beidem oder vielem?! Nehmen Sie die Herausforderung an und bleiben Sie einfach dran!

Autorin

Bettina Wadewitz

Apothekerin